...und täglich grüßt das Murmeltier

Ort der Handlung: HGW und Umgebung.
Zeitrahmen: Die ‘Goldenen Neunziger’.
Plot: Der Protagonist wechselt im Alter von 10 Jahren von der Grundschule auf das Gymnasium. Neun Jahre lang erlebt er auf dem ‘Campus’ emotionale Höhen und Tiefen. Spät in der Nacht des Abi-Balls legt er sich ins Bett und schläft mit dem Gedanken, nun nie wieder Schüler zu sein, zufrieden ein.
Als er wieder erwacht, ist es 5:59 Uhr. Trotz des wohl nur kurzen Schlafes spürt er keine Müdigkeit. Routiniert will er sich nach der Stereoanlagen-Fernbedienung recken, um sich die Nachrichten anzuhören, aber das ist sonderbarerweise schwieriger als sonst. Erste Meldung: Der Irak hat Kuwait überfallen. Schon wieder? Nein, der Funkwecker verrät es: Es ist der 2. August 1990, sein erster Tag am HGW. Größe: 40 cm weniger als gestern. Kanzler: noch acht Jahre Helmut Kohl. Abitur: 240 Klassenarbeiten und Klausuren entfernt. Erinnerungen: noch alle da.

Frage: Wie reagiert der Protagonist?

a) Mangels Unterrichtsstoff, den er vergessen könnte, vergißt er stattdessen die vergangenen neun Jahre und begibt sich nach einem guten Frühstück ebenso erwartungsvoll zum HGW, wie sich diese Entscheidung als verhängnisvoll herausstellen wird...

b) Er erinnert sich, daß er in der 5A war und hängt sich auf. Als dies lediglich in erneutem Aufwachen resultiert, faßt er den Plan, jedem Lehrkörper mal so richtig die Meinung zu sagen und sich dann den nächstbesten Fön in die Badewanne zu legen. Nach ca. 70 Suiziden in Klasse 5 überspringt er acht Klassen und macht an seinem elften Geburtstag Abitur. Beim Aufwachen acht Jahre später zeigt der Funkwecker tatsächlich: 1999, Juni, 13.

c) Er freut sich zunächst darauf, alle Klassenfahrten und das jahrelange Lachmuskeltraining noch einmal zu erleben und entschließt sich sogar, diesmal etwas aus Geschi Faber Unterstufe zu behalten. Doch dann kommt die Erinnerung an Buszeiten, Pausenordnungen, Feuerpläne, Leichtathletik bei Extremtemperaturen, aufgelöste Oberstufenkurse, nicht gerade auf Akzeptanz gestoßene Gedicht-Interpretationen etc., etc. – Er schnappt sich die elterliche Eurocard Gold, ruft ein Taxi und läßt sich zum Frankfurter Airport chauffieren...

d) Er scheffelt mittels seiner Kenntnis der Zukunft (Lottozahlen, Ohrwürmer, Börsencrashes, Internet) Milliarden. Als Geschenk an die Schülerschaft des HGW, der er nur noch pro forma angehört, setzt er den ehemaligen Bundes-Bunker als subterranen Gratis-McDonald's unter das Schulwäldchen. Auf einen Granitstein an der Goethestraße läßt er – in Erinnerung an eine Englischarbeit über mögliche Nutzungsarten jenes Wäldchens – eingravieren: „Well, Mrs Nossol, what about THIS solution?“

e) Moralisch von S. Seiffert, verh. Lorenz, geprägt läßt er fast sein ganzes bisheriges Leben hinter sich und versucht wiederholt, den Krieg in Bosnien zu verhindern.

f) Er heißt Michael H. und entschließt sich, seine 'verlorenen Jahre' autobiographisch festzuhalten. Damit fertig entdeckt er, daß schon wieder fast neun Jahre vergangen sind, die er allerdings in einem einzigen Satz zusammenfassen kann: „Ich schrieb die Seiten 1 - 756.452 dieses Tagebuchs.“

g) Er bewahrt Tausende Quadratkilometer Wald vor der Rodung, indem er alle in den nächsten Jahren von Frau Pagel und diversen Erdkunde-Lehrern ausgeteilt würdenden Blätter einscannt und zu horrenden Preisen auf CDs brennen läßt. Der Treibhauseffekt ist gestoppt, Deutschland wird in dieser Zeitlinie weltgrößter CD-Produzent.

h) Er ist eigentlich eine ‘Sie’, hat weder Kalender noch Fernbedienung und weigert sich, so früh aufzustehen.

i) Er war im Physik LK und möchte begreifen, wie das Erlebte vor sich ging. Entweder holt er Papier und Stift und fährt – neu motiviert – mit seiner Suche nach der Weltformel fort (Lars), löchert Herrn Schichlein wie sonst nur im Geschi "LK"™ Frau Seiffert (Urs), überrascht sich nach kurzem Nachdenken selbst mit einer perfekten Erklärung (Jerome) oder hatte diesen Wunsch nie und besorgt schon mal seinen Zu-spät-komm-Kuchen für Mathe (Markus M.).

j) Er hat keine Zeit für solche Kinkerlitzchen, schließlich ist er für den Abbau beim Abi-Ball eingeteilt.

k) Er sieht alles im Leben als Chance und nimmt sich vor, alle Sprachen der Erde zu lernen, alle verfügbaren Fernsehserien, Filme, Hörspiele, Speisen und Getränke zu konsumieren, alle lebenden Menschen kennenzulernen und mit jedem mindestens 42 Minuten über dessen Leben zu sprechen, alle Bücher und das gesamte Internet zu lesen, alle Text- und Bildarchive zu sichten, sich in allen Wissensgebieten alles verfügbare Wissen anzueignen, mindestens hundert Jahre pro Sachgebiet zu forschen und schließlich weitere hundert Jahre lang über das Erreichte nachzudenken. Trotz diverser mißglückter Versuche der Befreiung politischer Gefangener (zwecks Führen besagter Gespräche) ist er im Endeffekt doch überall erfolgreich; Nebeneffekte seiner Tätigkeiten beinhalten z.B. die Entwicklung eines Überlichtgeschwindigkeitsantriebes und die eierlegende Wollmilchsau. Nun möchte er sein gesammeltes Wissen, seine gesammelte Erfahrung und seine umfassende Menschenkenntnis am größten Prüfstein der Gegenwart testen: dem HGW. Was er jedoch nicht weiß, ist, daß die kontinuierliche Wiederholung, zu der er verdammt gewesen ist, ihren letzten Zyklus erreicht hat. Es kommt, wie es kommen mußte: Er rutscht nach Schulschluß 4,54 m entfernt von der linken unteren Ecke der Tür zum Lehrerzimmer auf frisch 'gewässertem' Fußboden aus, erleidet eine Gehirnerschütterung und dadurch eine Amnesie über die letzten 999.999 Jahre, 364 Tage, 23 Stunden und 59 Minuten. Für den weiteren Ablauf bitte das eigene Gedächtnis konsultieren, der Protagonist bist nämlich DU!

l) Am ersten Schultag platzt er aus Versehen zweimal in Unterricht bei Herrn/Frau _________ hinein. Sein Kommentar: „Wußte doch gleich, daß das Programm einen Haken hat. Computer, Ausgang!“
Er ändert das Holodeck-Programm so, daß von nun an
1) immer Herr/Frau _________ das Gleiche erlebt (z.B.: nach dem 110 899. Wiederbeginn merkt auch Fr. Temmert, daß sie bei der weihnachtlichen Bewertung eines im Sommer entstandenen Bildes die grünen Blätter an den Bäumen eigentlich nicht bemängeln dürfte)
2) er in die Rolle von Herrn/Frau _________ schlüpft (Folge: die Welt geht an dieser 'Fehlbesetzung' entweder zugrunde oder genest an ihr)
3) die Schüler durch Ministerialbeamte ersetzt werden (die schon nach wenigen Stunden um Erlösung von ihren eigenen Lehrplänen flehend Besserung geloben)
4) DAS KOLLEGIUM™ und die Schüler die Rollen getauscht haben (Dr. Schulmeistrat unterrichtet W. Schichlein etc.)
5) alle Beteiligten sich an die 'Vergangenheit' erinnern und sich das intellektuelle Niveau der Schule bis zur Selbstauflösung hochschaukelt.

m) Er zieht den vorliegenden Text zu Rate und wundert sich, daß Punkt m) der Liste gerade im Entstehen begriffen ist, als er ihn lesen will.


Urs Enke

Datenschutzerklärung