Dzien Dobry Polska

Als die Welt noch in Ordnung war und man sich noch keine Gedanken darüber machen mußte, daß man tatsächlich auf dem zielstrebigsten Wege zum Abitur ist – das heißt also am Anfang der Stufe 12 –, entschlossen sich 16 mutige und liebenswürdige HGWler, begleitet von der guten Fee Anne Jurzok und dem furchtlosen alten Griechen Kurt Mai, in den wilden Osten, nach Polen, in das Land der unbegrenzten Billigkeit, zu reisen. Nachdem im September des Jahres 1997 nach Christi Geburt schon einige Ureinwohner des sagenumwobenen Landes Polonia in Deutschland gewesen waren und durch Tagestouren nach Köln, Bonn, zum Drachenfels und, nicht zu vergessen, in das Phantasialand (als Kindergarten der deutschen Jugend kann man diesen phänomenalen Ereignispark in unserer Zeit sogar als Wiege der deutschen Kultur deklarieren, und es erscheint nur um so verständlicher, daß ein Ausflug dorthin natürlich in keinem Falle im Programm eines internationalen Schüleraustausches fehlen darf) nähere Bekanntschaft mit unserer Heimat machen konnten, hatte man an der Eliteschule HGW mit Müh’ und Not 16+2 Abenteurer ihrerseits zu einer Reise ins Ungewisse, eben in das mysteriöse Polen, motivieren können.

Es war ein grauer Novembertag, Allerheiligen 1997, als wir unsere Reise in das ebenso graue Polen starteten. Mit dem Zug ging es – unwissend, was uns wirklich dort draußen erwartete – Richtung Osten. Unser Zug tauchte in das Dunkel der Nacht ein, und das Rattern der Räder wurde zu unserem ständigen Begleiter. Je weiter wir uns von der Heimat entfernten, um so unsicherer wurden wir uns, ob wir wirklich nach Polen wollten. In unseren Liegewagen schmiedeten wir geheime Pläne, wie wir es doch noch verhindern könnten, nach Polen einzureisen. Bedrohlich näherte sich die Grenze, doch Frau Jurzok war sehr wachsam und wild entschlossen, uns alle mit sich nach Polen zu nehmen. Selbst den Versuch, dem Schaffner Bestechungsgeld zu geben (er war ja ein Pole), um doch noch aus dem Zug entkommen zu können, mußten wir aufgeben, da zu erwarten war, daß Frau Jurzok solche Fluchtmöglichkeiten schon im Keim ersticken würde.

Als wir am nächsten Morgen aufwachten, war es schon zu spät um zu fliehen; schlaftrunken hatten wir es in der Nacht zugelassen, daß man uns unseren Reisepaß mit einem grünen polnischen Einreisestempel (hoffentlich ließe man uns später wieder nach Deutschland ausreisen) verzierte. Für 10 Tage hieß es nun: Ade westliche Welt – Willkommen in Polen!

Die ersten Tage unserer Reise verbrachten wir in der Hauptstadt Polens, in Warszawa. Als wir in einem Pulk mit den Koffern bepackt auf dem Weg zu unserem ‘No-Name’-Hotel durch die Straßen zogen, musterten uns die Einheimischen mit großen Augen (November ist tatsächlich eine höchst ungewöhnliche Reisezeit für Touristen). Auf unseren Erkundungsstreifzügen lernten wir die Stadt besser kennen: Warschau selbst ist durch verschiedenste Epochen sehr ambivalent geprägt worden: Im Schatten des monumentalen sozialistischen Prachtbaus des Kulturpalastes breiten sich sowohl die mittelalterliche Stadt mit dem Königsschloß als auch die Plattenbauhochhäuser und das hochmoderne Warschau mit seinen Glashotels und Fast-Food-Restaurants des westlichen Kapitalismus aus. Wir überlebten das Großstadtgewimmel, auch wenn Frau Jurzok des öfteren Todesängste ausstehen mußte; zum Beispiel als es zwei der Abenteurer gar zu abenteuerlich nahmen und die anderen schon eine Vermißtenanzeige aufzugeben gedachten, obwohl die zwei das nächtliche Warschau doch nur einmal zwei Stunden lang auf eigene Faust hatten erkunden wollen. Die Zeit verging schnell und schon bald holten uns unsere polnischen Freunde mit dem Bus in Warschau ab und es ging Richtung Skarzysko.

Denkmal des Aufstands im Ghetto

nicht gerade polnische Küche

Zum Glück waren wir nicht gekommen, um die Stadt als touristisches Highlight zu erkunden, denn außer vielen heruntergekommenen Plattenbauten, ein paar dreckigen Fabriken (der Stolz der Einwohner war, daß einige Szenen aus ‘Schindlers Liste’ dort gedreht worden waren) und einem großen Bahnhof gab es nicht viel zu sehen. Wenn ihr also jemals eine Reise nach Polen plant, so könnt ihr ruhig einen großen Bogen um Skarzysko machen. Abgesehen davon: Hotels gibt es dort garantiert nicht. Doch die Gastfreundschaft der Polen hält, was man sich davon erzählt: Unsere Gastfamilien lasen uns jeden Wunsch von den Lippen ab. Während der 3 ½ Tage Aufenthalt in der ‘häßlichsten und dreckigsten Stadt der Welt’ kamen wir mit in die Schule, besichtigten eine mittelalterliche Stadt – vielmehr deren Unterbau (Kellergewölbe durchzogen den Untergrund der Stadt wie einen Schweizer Käse) – und fuhren Einkaufen nach Kielce. Die Abende verbrachten die meisten von uns in einem verrauchten Pub – Zeit zum sich langweilen gab es erst gar nicht; man hatte sich immer viel über die gegenseitigen persönlichen Erfahrungen zu erzählen. Wenn die Abende nicht gar noch eigenen Gesprächsstoff lieferten... Wir wurden zu einer verschworenen Gemeinschaft und hatten alle zusammen den größten Spaß in Skarzysko.

Als die Zeit des Abschieds gekommen war, ging es auf nach Krakau, dem kulturellen Höhepunkt der Reise. Das traurigste Kapitel unserer Expedition war der Besuch der Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau. Wir alle waren zutiefst erschüttert von der Grausamkeit und Kälte, die dieser Ort auch heute noch ausstrahlt. WARUM...? Trotz allergrößter Betroffenheit (dieser Tag prägt ein Leben unwiderruflich) holte uns der ‘Alltag’ nur allzu schnell wieder ein: Die Schönheit Krakaus zog uns in ihren Bann. Es gab viel zu sehen: Die Altstadt, den Wawel-Hügel mit Königsschloß und Kathedrale, die Tuchhallen und Hunderte von Kirchen. Zwischendurch fanden wir sogar noch Zeit, um Souvenirs einzukaufen (Empfehlung: Bernsteinschmuck, verzierte Holzkisten, Mandalas).

Zehn ereignisreiche Tage waren leider wie im Fluge vergangen, und die 16+2 Abenteurer kehrten wieder heim ins gelobte Land und erzählten ihren Freunden und Verwandten von der glorreichen Reise. Siehe da, sie waren nicht einmal beklaut worden, sondern kamen mit mehr nach Hause, als mit was sie aufgebrochen waren. Nein, ich meine nicht die Dutzend Zigarettenstangen in ihrem Gepäck; ich meine auch nicht die 50 vollgeschriebenen Seiten eines äußerst expliziten Tagebuches, das während jener Fahrt entstanden ist, sondern ich meine die unzähligen Erfahrungen, die sie allesamt während jener Reise gesammelt haben.

Nun, was will uns diese Erzählung sagen? – (außer, daß Zigaretten in Polen viel billiger als in Deutschland sind) Polen ist mindestens eine (wenn nicht sogar noch mehr) Reise(n) wert. Also, wann immer einer von Euch die Chance haben sollte, nach Polen zu reisen, nehmt diese Gelegenheit wahr. VIVA POLONIA!!! Danke Frau Jurzok, Danke Herr Mai – und bis zum nächsten Mal, wie abgesprochen...


Michael Herchenbach

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